Übersetzungen

von Otto und Eva Schönberger

Aischylos: Agamemnon


Pierre-Narcisse Guérin: Klytaimestra zögert vor der Tötung des schlafenden Agamemnon
Pierre-Narcisse Guérin: Klytaimestra zögert vor der Tötung des schlafenden Agamemnon

Die Personen des Dramas:

  • Wächter auf dem Palastdach Agamemnons.
  • Chor von Greisen aus Argos.
  • Bote.
  • Klytaimestra, Tochter von Tyndareus und Leda, Gattin Agamemnons.
  • Talthybios, Herold.
  • Agamemnon, Atride, König.
  • Kassandra, Tochter des Königs Priamos von Troia.
  • Aigisthos, ehebrecherischer Geliebter Klytaimestras.

Wächter.
Die Götter bitte ich um Erlösung von dieser Plage, jahrlanger Wache auf dem Dach der Atriden, wo ich wie ein Hund auf dem Ellbogen liege und die ganze Versammlung der nächtlichen Sterne schon auswendig weiß, (5) jene, die den Menschen Winter und jene, die Sommer bringen, glänzende Herrschergestirne, funkelnd im Äther. Auch jetzt wieder spähe ich nach dem Leuchtzeichen, dem Feuerschein, der aus Troia Kunde und (10) Nachricht von der Eroberung bringen soll; so gebietet es voll Hoffnung Klytaimestras männlich-starker Sinn. Schlafraubend, taufeucht ist mein Lager, nie besucht von Träumen. Denn statt des Schlafs steht neben mir die Furcht, (15) so daß sich meine Lider nie zu festem Schlummer schließen. Doch will ich singen oder summen und den Schlaf mit einem Lied abwehren, wird es zu Weinen und Seufzen über das Unglück dieses Hauses, mit dem es nicht mehr gut wie vordem steht. (20) Käme doch jetzt glückliche Erlösung von dieser Plage, erschiene doch die Feuerbotschaft in der Finsternis!

O, sei gegrüßt, du Leuchte, die in der Nacht tagbringendes Licht ankündigt und Aufführung vieler Festreigen, mit denen man in Argos dankt für dieses Glück! (25)

He, auf! Agamemnons Weib künd' ich es laut, damit sie rasch vom Bett aufsteht und der Fackelbotschaft mit wohltönendem Jubel im Palast entgegenjauchzt, da Ilions Stadt (30) genommen ist, wie dieses Feuerzeichen deutlich meldet. Auch ich will gleich zum Vorspiel tanzen, will ich doch zeigen, daß meiner Herrschaft Würfel glücklich fielen; auch mir bescherte dieses Feuerzeichen einen Pasch.

Ach, könnte ich die liebe Hand des Hausherrn (35) bei der Heimkehr mit der meinen drücken! Vom andern schweig' ich, denn mir trat ein großer Ochse auf die Zunge. Das Haus selbst, hätte es Sprache, würde am deutlichsten reden. Mit Wissenden spreche ich frei darüber; für den, der nichts weiß, weiß auch ich von nichts.

Chor.
Zehn Jahre sind es schon, seit Priamos' mächtige Gegner, der Herrscher Menelaos und Agamemnon, das starke Atridenpaar, von Zeus mit zweifachem Thron und zweifachem Szepter geehrt, die argivische Flotte, (45) tausend Schiffe, mit einem Heer von hier fortführten; voll Zorn stießen sie lauten Kriegsruf aus, wie Geier, die in maßlosem Schmerz um ihre (50) Jungen über dem Nest kreisend mit den Flügeln rudern, der Brut beraubt, nesthütender Mühe Frucht. (55) Doch droben hört einer, Apollon, Pan oder Zeus, die schrill gellende Klage der Vögel, ihrer Schützlinge, und schickt den Frevlern vergeltende Rache. (60)

So sendet der mächtige, gastliche Zeus die Söhne des Atreus gegen Paris, um wegen der mannstollen Frau Danaern wie Troern viel gliederermattendes Ringen aufzuerlegen, wenn das Knie in den Staub sich stemmt (65) und der Speer zu Beginn des Kampfes zersplittert.

Das aber ist nun so, wie es ist, und wird vollendet nach der Bestimmung. Denn weder spätere Brandopfer noch Trankspenden noch heilige, (70) feuerlose Opfer besänftigen unerbittlichen Zorn.

Wir aber, die Alter des Leibes damals vom Heerzug ausschloß, weilen daheim, unsere (75) kindergleiche Kraft mit Stöcken lenkend. Denn dem Mark in der Kinderbrust, das erst noch wächst, gleicht das des Greises, und für Ares ist da kein Platz. So geht der Überalte, dem schon das Laub schrumpft, (80) dreibeinig seinen Weg und schwankt einher, am Tag erscheinendes Traumbild, nicht stärker als ein Kind.

Doch du, Tochter des Tyndaros, Königin Klytaimestra, sprich! (85) Welche Not trat ein, welches jähe Ereignis? Was gewahrtest du? Welcher Botschaft vertrauend läßt du überall Rauchopfer bringen? Die Altäre aller Götter, die die Stadt verehrt, der überirdischen und unterirdischen, (90) der an den Toren und der auf dem Markt, flammen von Opfergaben. Bald hier, bald dort steigt die Flamme himmelhoch auf, genährt mit (95) milden, reinen Gaben heiligen Salböls, auch mit königlichem Opferkuchen vom innersten Palast. Künde davon, was du sagen kannst und darfst, und werde zum Arzt meiner Sorge; bald nämlich ahnt sie (100) Unheil, bald wieder befreit Hoffnung, genährt von Opfern, die du aufleuchten läßt, das Herz von unstillbarem Kummer und verzehrendem Gram.

Ich darf das günstige Zeichen beim Auszug der (105) Kriegsmacht besingen – im Alter haucht mir noch ja göttliche Gnade Macht des Gesangs und packende Rede ein: Wie der stürmende Vogel die (110) doppelt thronende Macht der Achaier, die einigen Führer hellenischer Jugend, mit Speer und rächender Faust gegen das Teukrerland sandte, er, der König der Vögel, die Könige der Schiffe; (115) ein Vogel erschien schwarz, der andere hinten weiß, und sie fraßen nah dem Palast auf der Seite der speerschwingenden Hand am weithin sichtbaren Sitz eine hochträchtige Häsin; (120) deren letzte Sprünge waren zu kurz.

Ein Wehe rufe, ein Wehe! Doch siege das Gute!

Im Blick auf die zwei streitbaren Atriden, ungleich an Art, erkannte der kluge Heeresseher in den Hasenfressern die Führer des Zugs. (125) Und das Zeichen deutend sprach er so: „Dieser Heerzug erobert zwar nach langer Zeit die Priamosstadt, und das Schicksal wird den ganzen Besitz der Stadt, angehäuft einst vom Volk, gewaltsam zerstreuen. Wenn nur göttlicher Groll dem mächtigen, Troia belagernden Heer kein Unheil sendet! (135) Voll Mitleid nämlich grollt die reine Artemis den Flügelhunden des Vaters, die das arme, schüchterne Tier samt den ungeborenen Jungen hinopfern; sie verabscheut die Mahlzeit der Adler.“

Ein Wehe rufe, ein Wehe! Doch siege das Gute! (140)

„Wenig günstig gesinnt befiehlt die Schöne, deren Freude Junge reißender Löwen sind, die den Alten noch nicht folgen können, und die brustliebenden Kinder alles feldbewohnenden Wildes: Die Erscheinung der Adler, (145) günstig zwar, doch zugleich bedenklich, solle Sinnbild dieses Zuges sein. So bitte ich den Helfer Paian, daß Artemis den Danaern nicht widrige, verzögernde Hinderung der Abfahrt (150) schaffe im Verlangen nach einem anderen Schlachtopfer, einem verbotenen, von dem man nicht essen darf, das von Natur aus Hader stiftet, der vor Gattenmord nicht zurückschreckt. Denn daheim harrt, sich einst furchtbar erhebend, (155) das Haus tückisch bewachend, kindrächender Groll, der nie vergißt.“ Solches Verhängnis neben großem Glück weissagte Kalchas dem Königshaus beim Vogelzeichen vor der Abfahrt. Zu solchem Schicksal rufe: Wehe, wehe! Doch siege das Gute. (160)

Zeus, – wer immer er sei – will er so heißen, ruf' ich ihn so. Weiß ich doch, alles erwägend, nichts zu vergleichen mit Zeus, (165) wenn ich meine Sorgenlast wirklich und ganz abwerfen soll.Uranos nämlich, groß einst und strotzend von alles bekämpfender Keckheit, (170) wird nicht einmal genannt werden als einer, der je gewesen. Und der nachher kam, Kronos, fand seinen Überwinder und ist dahin. Wirkliche Weisheit aber erlangt, (175) wer gläubig mit Siegesrufen Zeus feiert, der Sterblichen den Weg zur Einsicht wies und festsetzte, daß das Wort „Durch Leid zur Einsicht“ unwiderruflich gilt. Statt des Schlafes nämlich schleicht Qual ins Herz, (180) denkt man doch immer an das Leid. Sogar sich Sträubende fanden schon zur Einsicht. Das ist wohl Gnade der Götter, die gewaltig auf erhabenem Steuerdeck sitzen.

Damals widersprach der ältere Führer der (185) achaiischen Schiffe dem Seher nicht, sondern fügte sich dem hereinbrechenden Geschick; denn das achaiische Kriegsvolk war zornig über das hungerbringende Festliegen, als es gegenüber (190) Chalkis lag an Aulis' Gestaden, wo die Flut zurückrauscht.

Winde waren gekommen vom Strymon her, brachten leidige Muße und Hunger, verdarben die Fahrt, (195) verwirrten die Männer, verschonten nicht Schiffe noch Taue, machten die Zeit doppelt lang durch Verzug und rieben die Blüte der Argeier auf. Als nun der Seher den Fürsten noch weiteres kündete, ein Mittel, bedrückender noch als der schlimme Sturm, (200) und Artemis nannte, so daß die Atriden ihre Szepter auf den Boden stießen und den Tränen nicht wehren konnten, (205) da rief der ältere Herrscher: „Schweres Unheil bringt es, hier nicht zu gehorchen, doch schwer ist es auch, mein Kind zu schlachten, des Hauses Kleinod, am Altar die Vaterhände mit Blutbächen befleckend beim Mord der Jungfrau. (210) Welcher der Wege ist frei von Leid? Wie darf ich die Flotte im Stich lassen und so die Bündner verlieren? Mit Recht ja fordern sie heftig (215) windstillendes Opfer und Blut der Jungfrau. So schlag' es zum Heil aus!“

Doch als er sich dem Joch des Zwanges beugte, unfromme, unreine, unheilige Sinnesänderung (220) schnaubend, da wurde er ein anderer, ganz vermessenen Wesens. Dreist macht ja Sterbliche Ruchloses ratender unseliger Wahn, der Anfang des Leidens. Nun vermochte er die Tochter zu schlachten (225) für den Rachekrieg um ein Weib, als Opfer für die Schiffe.

Ihr Flehen, ihre Schreie „Vater! Vater!“ und ihr jungfräuliches Alter achteten (230) die kampfliebenden Fürsten für nichts. So befahl der Vater den Dienern, sie nach dem Gebet wie eine Ziege, in Gewänder gehüllt, mit allem Mut über den Altar zu halten, das vorgeneigte Haupt hochzureißen (235) und den schönlippigen Mund zu knebeln, um ein Fluchwort gegen das Königshaus zu verhindern.

Im Zwang des Knebels und seiner verstummenden Gewalt vergoß sie ihr rotes Blut, (240) traf jeden der Opferer mit dem mitleidheischenden Strahl ihrer Augen, schön wie ein Bild, und wollte sie anreden; sie hatte ja oft in des Vaters Halle an wohlbestellten Tischen gesungen. (245) Mit reiner Stimme nämlich sang die Jungfräuliche oft liebevoll-andächtig bei der dritten Spende das glückflehende Gebet für den lieben Vater.

Was dann kam, sah ich nicht und sag' es nicht; doch blieb des Kalchas Seherkunst nicht ohne Erfolg. Dike aber wägt Leidenden Erfahrung zu. (250) Die Zukunft erfährt man früh genug, wenn sie eintrifft; sie soll mich noch nicht kümmern, dies hieße im Voraus seufzen. Die Zukunft wird ja mit den Strahlen des Frührots deutlich erscheinen. (255) So sei diesem Haus der Ausgang günstig, wie sie es wünscht, sie, einzige Schutzwehr des Argeierlandes, die eben herannaht.

Chor.
Ich stehe ehrfurchtsvoll vor deiner Hoheit, Klytaimestra. Denn es ist billig, des Herrschers Frau zu ehren, (260) wenn der Thron des Mannes verlassen steht. Ob du nun Gutes erfuhrst oder nur in Erwartung froher Botschaft Rauchopfer darbringst, hörte ich als wohlgesinnter Bürger gern, verarge dir jedoch auch Schweigen nicht.

Klytaimestra.
Mit guter Botschaft soll, wie das Sprichwort sagt, (265) das Morgenrot aus der Nacht, seiner Mutter, hervorgehen. Du wirst größere Freude erfahren, als du zu hören hoffst: Die Argeier nahmen die Stadt des Priamos ein.

Chor.
Was sagst du? Ich habe deine Rede nicht verstanden, weil ich sie nicht glauben kann.

Klytaimestra.
Troia ist in der Hand der Achaier. Spreche ich nun deutlich? (270)

Chor.
Freude erfüllt mich und entlockt mir Tränen.

Klytaimestra.
Ja, daß du wohlgesinnt bist, zeigt dein Auge.

Chor.
Gewiß hat du ein sicheres Zeugnis deiner Nachricht?

Klytaimestra.
Ja, wie denn nicht? Wenn nicht ein Gott mich täuscht.

Chor.
Hältst du gar einen Traum für wahr und schenkst ihm zu leicht Glauben? (275)

Klytaimestra.
Ein Trugbild des schlaftrunknen Geistes nähme ich nicht ernst.

Chor.
Dann schwellte dir ein plötzliches Gerücht die Brust?

Klytaimestra.
Wahrlich, du verhöhnst meinen Verstand wie den eines jungen Mädchens.

Chor.
Zu welchem Zeitpunkt wurde denn die Stadt zerstört?

Klytaimestra.
In der Nacht, antworte ich, die eben dieses Tageslicht gebar. (280)

Chor.
Und welcher Bote käme denn so schnell herbei?

Klytaimestra.
Hephaistos war der Bote, der vom Ida leuchtenden Glanz aussandte. Und ein Flammenzeichen löste im Postenlauf des Feuers das andere aus: Vom Ida zum Hermesfels auf Lemnos, und von dieser Insel empfing der Athosberg des Zeus den dritten mächtigen Fackelschein; (285) übergewaltig drang die Kraft des wandernden Feuerscheins vorwärts, übersprang wie im Scherz den Meeresrücken, gab sonnengleich den golden leuchtenden Glanz den Warten des Makistos weiter. (290) Der aber, nicht zögernd oder achtlos von Schlaf übermannt, erfüllte seine Botenpflicht und meldete die Ankunft des Feuerzeichens den Wächtern auf dem Mesapios, fern bei den Fluten des Euripos. Diese wieder steckten einen (295) Haufen trockenen Heidekrauts in Brand, entfachten ein Feuer und gaben so die Botschaft weiter. Kraftvoll und durchaus nicht erlahmt übersprang der Fackelschein die Asoposebene wie der glänzende Mond, hinüber zum Felsgebirg des Kithairon, und weckte einen weiteren Feuerposten. (300) Die Wache sparte nicht am weithin meldenden Licht, ja sie verbrannte mehr Holz, als angeordnet war. Über den Gorgopis-See flog nun das Licht, kam zum Geißberg und trieb die Wächter an, befohlenes Feuer eilig zu entfachen. (305) Diese senden, die Flamme reichlich nährend, eine mächtige Feuersäule, die sogar die weithin sichtbare Steilküste des Saronischen Golfs übersprang; darauf eilte sie weiter und kam zur Arachnaion-Höhe, der Warte nahe unserer Stadt. (310) Dann drang das Licht, das dem Feuer auf dem Ida entstammte, hierher zum Dach der Atriden. Dies also war die Ordnung der Feuerzeichen, die ihre Pflicht der Reihe nach erfüllten. Den Preis aber gewinnen der erste und der letzte Läufer. (315) Solches Zeugnis und Zeichen meines Gatten nenne ich dir; er sandte es mir aus Troia.

Chor.
Den Göttern will ich später danken, Frau. Die Botschaft aber, die du kündest, will ich noch einmal ausführlich hören und bestaunen. (320)

Klytaimestra.
Troia haben die Achaier seit heute in Besitz. Ich meine, zweifaches Geschrei in der Stadt deutlich zu hören. Gießt man Essig und Öl ins gleiche Gefäß, wird man sagen, daß sie sich bekämpfen und nicht Freunde sind. So hört man auch von Siegern und Besiegten ungleiche Rufe (325) über ungleiches Schicksal. Die einen nämlich, hingesunken auf die Leichen von Gatten und Brüdern, Kinder auch über greise Väter, bejammern, selbst schon nicht mehr frei, den Tod der Liebsten. (330) Die andern aber führt die nächtliche Kampfmühe hungrig und ohne Rangordnung zum Frühstück, das die eroberte Stadt bietet; so, wie jeder das Glückslos hastig zog, wohnen sie jetzt in eroberten troischen (335) Häusern, erlöst von Frost und Tau unter freiem Himmel, und wie die Reichen werden sie die ganze Nacht durch sicher schlafen.

Wenn die Sieger nun die Stadtgötter des eroberten Landes und deren Standbilder fromm ehren, (340) werden sie gewiß nicht ihrerseits besiegt. Wenn nur nicht erst der Rausch des Plünderns das Heer verführt, das zu zerstören, was man nicht zerstören darf! Sie brauchen ja noch Glück zu Heimfahrt und Rückkehr, müssen die andere Hälfte der Doppelbahn zurücklegen. (345) Kehrt das Heer ohne Frevel gegen die Götter zurück, ist es gut. Möge ihm kein jähes Unglück zustoßen!

Solche Kunde magst du von mir hören, bin ich auch nur eine Frau. Das Gute aber siege ohne Wenn und Aber; (350) seinen Sieg nämlich ziehe ich vielen Gütern vor.

Chor.
Frau, du sprichst verständig wie ein kluger Mann. Ich aber will nach deinem sicheren Zeugnis die Götter anrufen, wie es sich gebührt. Sie schenkten uns ja Gnade, aller Dankesmühe wert. (355)

O König Zeus und du, freundliche Nacht, großen Ruhmes Stifterin, die über Troias Mauern das umgarnende Netz warf, so daß weder alt noch jung das gewaltige Zugnetz der Knechtschaft, (360) des alles erfassenden Unheils, zu überspringen vermochte!

Ja, ich verehre den großen Zeus, den Schützer des Gastrechts, der dies vollbrachte, ihn, der längst den Bogen auf Paris so spannte, daß er den Pfeil (365) weder zu früh noch über die Sterne hinaus vergeblich schnellte.

Vom Schlag des Zeus können die Troer erzählen; man kann es sich denken: Er führte ihn, wie er beschlossen. Mancher leugnet, (370) daß Götter Sterbliche strafen, die Ehrwürdig-Unantastbares mit Füßen treten; doch so einer ist nicht fromm. Man sieht es an Enkeln von Häusern, (375) die wider das Recht Gier schnauben nach dem, was man nicht wagen darf, von Häusern, die über alles Maß und mehr, als gut ist, von Reichtum strotzen. Nur so viel Besitz soll da sein, daß er vor Not schützt und (380) dem Verständigen hinreicht.

Denn es gibt keine Rettung für einen Mann, der im Übermut seines Reichtums den heiligen Altar des Rechtes mit Füßen ins Dunkel stieß. (385)

Unselige Selbstüberredung überwältigt ihn, verderbliche Tochter ratgebender Verblendung. Für ihn gibt es keine Hilfe. Das Übel bleibt nicht verborgen, sondern dringt als schrecklich funkelndes Licht zutage; (390) der Ungerechte wird, wie schlechtes Metall durch Reiben und Stoßen am Prüfstein, schwarz bei der Prüfung, weil er, knabengleich, dem flüchtigen Vogel nacheilt (395) und so der Stadt unerträglichen Schaden zufügt. Seine Bitten hört kein Gott; nur auf die Untat sieht die Gottheit und vernichtet den Frevler.

Solcher Art war auch Paris: Er (400) kam in den Atridenpalast und schändete den gastlichen Tisch durch Entführung der Hausfrau.

Die aber hinterließ den Bürgern (405) Getümmel von Schild- und Lanzenträgern und die Rüstung der Flotte, brachte Ilion als Mitgift Verderben, schritt rasch durch die Tore und wagte, was man nicht wagen darf. Laut seufzten die Zeichendeuter des Palastes und sprachen: (410) „Wehe, wehe, du Haus, Haus und Fürsten! O Ehe und mannstolle Flucht!“ Nun sieht man, wie Menelaos rachelos schweigt, nicht schmäht, den Verlust nicht begreift. Voll Sehnsucht nach der Frau überm Meer scheint er nur (415) als Schatten im Palast zu herrschen. Der Reiz schöngestalter Statuen ist ihm verhaßt; da er Helenas Anblick entbehrt, schwindet jedes Verlangen. (420)

Im Traum erscheinen ihm leidweckende Gebilde, bringen nichtige Lust. Denn zu Nichts zerrinnt Holdes, das man im Wahn sieht; das Traumgesicht entschlüpft den Händen, (425) kehrt nicht wieder zurück auf Pfaden geflügelten Schlafes. So sind die Schmerzen am Herd im Palast, so, ja bitterer noch.

Vom Volk dagegen verlangt man im Haus eines jeden geduldige Enthaltung von Trauer um die aus hellenischem Land aufgebrochenen Streiter. (430) Dabei greift vieles ans Herz. Denn, wen er aussandte, weiß jeder; doch statt der Männer kehren nur (435) Rüstung und Asche ins Haus eines jeden heim.

Ares, der Leichenhändler und Waagehalter im Speerkampf, (440) schickt von Ilion den Angehörigen verbrannten, bedrückenden, heiß beweinten Staub, Asche, in schön geformte Urnen gefüllt, an Stelle des Mannes. (445) Jene aber beklagen preisend den einen als erfahrenen Kämpfer, den anderen als rühmlich Gefallenen im Gemetzel um das fremde Weib. Mancher murrt darüber im Stillen, (450) und gehässig schleicht Groll an die Atridenherrscher heran.

Andere haben dortselbst ihr Grab an der Mauer in ilischer Erde, schöngestalte Männer; (455) feindlicher Boden umhüllt die Eroberer.

Schwer aber lastet grollende Rede der Bürger auf den Atriden, vergilt ihre Schuld mit dem Fluch des Volkes. Darum erwartet mein Herz voller Sorge, etwas zu hören, (460) was Nacht noch bedeckt. Nicht nämlich übersehen Götter den, der vielen Tod bringt. Schwarze Erinyen stürzen am Ende einen Glücklichen, der das Recht nicht ehrt, (465) durch Unheil ins Dunkel. Der Unbedeutende dagegen besitzt keine Macht. Übermäßig berühmt zu sein, ist eine Last; denn aus den (470) Augen des Zeus fährt der Blitz. Ich lobe mir neidlosen Segen, möchte weder ein Städtezerstörer sein noch auch, unterjocht, unter fremder Herrschaft leben. (475)

Nach der Freudenbotschaft des Feuers durchläuft rasches Gerücht die Stadt; ob es aber zutrifft oder nur Göttertäuschung ist, wer weiß das? Wer ist so kindisch oder ohne Verstand, daß ihn (480) die überraschende Feuerpost entflammte, er dann aber, wenn andere Botschaft kommt, den Mut verliert? Nur in einer Weiberherrschaft dankt man, bevor das Glück da ist. (485) Allzu großen Glauben findet die Behauptung eines Weibes und verbreitet sich rasch; doch schnell auch vergeht ein Gerücht, das ein Weib herumschwatzt.

Chorführer.
Bald wissen wir, ob die leuchtenden Fackelzeichen (490) und der Staffellauf des Feuers Wahres künden, oder ob das erfreuliche Licht unsere Sinne täuschte wie ein Traum. Dort sehe ich einen Herold von der Küste kommen, beschattet von Ölzweigen; trockener Staub, des Schmutzes (495) Bruder, zeigt an, daß dieser Bote nicht stumm bleiben, nur Holz auf dem Berg entzünden und Rauchzeichen geben wird; nein, er wird mit Worten frohe Kunde bringen oder – doch eine Unglücksbotschaft bleibe fern. (500) So ergänze denn frohes Wort die frohe Erscheinung. Jeder, der unserer Stadt anderes wünscht, büße die schändliche Gesinnung am eigenen Leib.

Herold.
O väterlicher Boden des Argeierlands! Am zehnten Jahresmorgen kam ich heute heim zu dir; (505) so viele Hoffnungen schlugen fehl, doch diese eine ist mir nun erfüllt. Nie nämlich wagte ich zu hoffen, hier im Argeierland zu sterben und das erwünschte Grab zu finden. So sei gegrüßt, Erde, sei gegrüßt, Licht der Sonne, Zeus, höchster Herrscher dieses Landes, und du, Pythos Herr, (510) dessen Bogen nicht mehr Pfeile auf uns sendet! Am Skamander warst du feindselig genug; dafür sei uns jetzt Retter und Helfer, Herr Apollon! Auch die marktschützenden Götter alle grüße ich, auch meinen Beschützer (515) Hermes, den lieben Herold, Schirmherr der Herolde, dazu die Ahnengeister, die uns geleiteten; gnädig mögen sie den Rest des Heers wieder empfangen, der dem Speer entging!

Ihr Königshallen, geliebte Burg, ehrwürdige Throne, Götterbilder vor dem Palast! Wenn (520) je zuvor, empfangt jetzt, nach so langer Zeit, mit heiterem Blick den Herrscher, wie es sich gebührt! Denn König Agamemnon kommt und bringt euch allen hier zusammen Licht in der Nacht. Auf, empfangt ihn freundlich, denn so ziemt es sich, ihn, (525) der Troia einriß mit dem Karst des rächenden Zeus, mit dem der Boden dort umgewühlt und des ganzen Landes Nachwuchs ausgerottet ist. Nachdem er ein solches Joch über Troia geworfen, (530) kommt nun der ältere Atridenfürst, der glückliche, der unter den jetzt Lebenden am meisten Ehre verdient. Denn weder Paris noch die ihm untertane Stadt können prahlen, mehr verschuldet als gebüßt zu haben. Er nämlich, des Raubs und der Entführung schuldig, (535) verlor die fortgeschleppte Beute und stürzte sein Vaterhaus samt dem ganzen Land in den Abgrund. So büßten die Priamoskinder doppelt ihre Schuld.

Chor.
Glück dir, Herold vom Heer der Achaier!

Herold.
Ja, Glücklich bin ich. Nun will ich gerne sterben, wenn es Götterwille ist. (540)

Chor.
Hat dich hat die Sehnsucht nach der Heimat sehr gequält?

Herold.
So sehr, daß ich vor Freude weinen muß.

Chor.
Wenn diese süße Krankheit dich befiel, so wisse...

Herold.
Was meinst du? Nur belehrt versteh' ich, was du sagst.

Chor.
... daß Sehnsucht dich nach Leuten quälte, die Gegenliebe fühlten. (545)

Herold.
Du meinst, die Heimat habe Sehnsucht verspürt wie das Heer?

Chor.
Ja, so daß ich oft aus verdüstertem Herzen aufseufzte!

Herold.
Und woher kamen Leid und trüber Sinn?

Chor.
Schon längst dient mir das Schweigen als ein Mittel gegen Schaden.

Herold.
Wie denn? Mußtest du, als der König fern war, jemand fürchten? (550)

Chor.
O ja, so daß ich, wie du sagtest, jetzt gern sterben will.

Herold.
Es fand doch alles ein gutes Ende. Von all dem freilich, was in so langer Zeit geschah, kann man das eine glückhaft, anderes wieder mißlich nennen. Doch wo gibt es einen – die Götter ausgenommen – , dessen ganze Lebenszeit frei von Leid wäre? (555) Denn wollte ich von den Plagen und dem Leben unter freiem Himmel reden, vom engen Platz auf Deck, dem schlechten Lager – kurz, worüber mußten wir nicht klagen? Auch erlosten wir nie die Tagewache. Zu Lande war das Leben noch viel härter, standen doch unsere Zelte bei den feindlichen Mauern. (560) Regen vom Himmel und Wasser in den Wiesen quälten uns beständig, und unsere Wollkleider waren voller Ungeziefer. Und wollte man vom vogeltötenden Winter reden, den der Schnee des Ida unerträglich machte, (565) oder von der Hitze, wenn das Meer, in windstille Mittagsruhe versunken, wogenlos schlief – doch wozu darüber klagen? Die Not ist vorbei, vorbei auch für die Toten, so daß sie nicht mehr auferstehen möchten. (570) Wozu die Gefallenen an den Fingern herzählen? Und wozu soll der Lebende sich nochmals grämen über Leid, das er ertrug? Dem Unglück sage ich herzlich Lebewohl. Für uns, den Rest des argivischen Heeres, überwiegt der Gewinn, das Leid wiegt ihn nicht auf. (575) Denn im Licht dieses Tages, das über Land und Meer schwebt, dürfen wir uns rühmen: „Das Heer der Argiver, das Troia endlich einnahm, hat diese Beutestücke, uralten Prunk, an die Tempel der in Hellas verehrten Götter geheftet.“ (580) Wer solches hört, muß die Stadt Argos und ihre Feldherrn preisen; auch die Gnade des Zeus wird gepriesen, die dies vollbracht hat. Jetzt weißt du alles.

Chor.
Deine Worte überzeugen mich, das leugne ich nicht. Das Alter ist ja immer jung genug, um noch zu lernen. (585) Zwar betrifft deine Nachricht vor allem das Herrscherhaus und Klytaimestra, doch beglückt sie auch mich.

Klytaimestra.
Ich jauchzte längst vor Freude auf, als nachts die erste Feuerbotschaft kam und Troias Einnahme und Zerstörung anzeigte. (590) Da schalt mich mancher und sagte: „Beschwatzt von Feuerwächtern glaubst du, Troia sei nun zerstört? Wahrlich, zu einem Weib paßt dieser Überschwang des Herzens.“ Solcher Rede nach war ich offenbar verrückt. Doch opferte ich trotzdem, und wie ich, das Weib, (595) jubelten die Menschen hell auf, bald hier, bald dort in der Stadt, und nährten vor den Göttersitzen die Weihrauch verzehrende, duftende Flamme. Und jetzt, was brauchst du mir noch mehr zu sagen? Vom Herrscher selbst werde ich alles erfahren. (600) Ich eile, meinen erhabenen Gemahl bei seiner Heimkehr aufs beste zu empfangen. Welch schöneren Tag nämlich könnte ein Weib erleben, als wenn sie ihrem Mann das Tor öffnet, den Gott vom Feldzug heimkehren ließ? Melde meinem Gatten nur dies: (605) Er soll so rasch wie möglich kommen; sehnlich erwartet ihn die Stadt. Heimkehrend wird er ein treues Weib im Hause finden, ganz, wie er sie zurückließ, ihm eine gute Hüterin des Hauses, Böswilligen eine Feindin, die sich auch sonst in allem gleich blieb und kein Siegel (610) aufbrach in der langen Zeit. Ich kenne weder Lust von fremdem Mann noch trifft mich üble Nachrede, so wenig, wie sich Eisen färbt. Dies klingt nach Eigenlob; ist es aber volle Wahrheit, bringt es einer edlen Frau nicht Schande, so zu sprechen. (615)

Chor.
Sie hielt dir eine Rede, die einen scharfsinnigen Ausleger braucht, wenn du sie verstehen willst. Du aber, Herold, sage mir – ich wüßte es gern – , ob auch Menelaos heimkehrt und heil mit euch zurückkam, der teure Fürst dieses Landes. (620)

Herold.
Ich kann unmöglich schöne Lügen erzählen; sie würden ja den Freunden nicht lang nützen.

Chor.
Du kannst also die Wahrheit nicht schön nennen? Wenn du so unterscheidest, darfst du nicht mehr hinter dem Berg halten.

Herold.
Der Mann ist aus dem achaiischen Heer verschwunden, (625) er und sein Schiff. Das ist keine Lüge.

Chor.
Fuhr er vor aller Augen von Ilion weg, oder riß ihn Sturm, ein allgemeines Unheil, fort vom Heer?

Herold.
Du trafst wie ein Scharfschütze ins Ziel und (630) sprachst mit kurzem Wort ein langes Unheil aus.

Chor.
Kam nicht von andern Schiffen Nachricht seiner Rettung oder seines Todes?

Herold.
Niemand weiß Sicheres zu melden, es sei denn Helios, der die Kraft der Erde nährt.

Chor.
Wie sagst du? Überfiel ein Sturm, von Göttergroll gesandt, (635) das Schiffsheer und legte sich dann wieder?

Herold.
Man soll einen Glückstag nicht durch Unglücksbotschaft entweihen; hier walten ja verschiedene Götter. Meldet nämlich ein Bote düsteren Blicks der Stadt verwünschtes Unheil und Verlust des Heers, (640) – ein Schlag für alle Bürger, da viele Männer vieler Häuser als Opfer fielen durch die Doppelgeißel, die Ares liebt, seine zwei Unheil stiftenden Lanzen, das Mörderpaar, – ein Bote, so mit Unheil beladen, (645) muß ein Erinyen-Lied singen. Ich aber, der frohe Rettungskunde zur Stadt bringt, die sich sonnt in ihrem Glück, wie soll ich Gutes mit Bösem vermischen und vom Sturm erzählen, der nicht ohne Göttergroll gegen die Achaier wütete?

Denn Feuer und Wasser, (650) ärgste Feinde sonst, verschworen sich, bewiesen ihre Eidestreue und vernichteten das unglückliche Achaierheer. Nachts stiegen unheilvolle, böse Wolken auf, Nordwinde schmetterten die Schiffe gegeneinander. (655) Diese stießen im Wirbelsturm unter hagelprasselndem Unwetter heftig mit den Steven zusammen und verschwanden spurlos im Wirbel des schrecklichen Sturms. Als aber das helle Licht der Sonne aufging, sahen wir das Ägäische Meer übersät (660) mit Leichen achaiischer Männer und Trümmern von Schiffen.

Uns freilich und unser Schiff entführte unversehrt eine höhere Macht, oder ein Gott – kein Mensch – bat sich uns aus und ergriff das Steuer. Das rettende Glück setzte sich huldvoll auf das Schiff, (665) so daß es weder vom Wogenschwall litt noch auf Felsgrund scheiterte. Doch wir, dem nassen Tod entronnen, trauten selbst am heiteren Tag dem Glück noch nicht und grämten uns über das neue Leid (670) des erschöpften, übel zugerichteten Heeres.

Und lebt von ihnen jemand noch, so reden sie von uns als Umgekommenen. Wie denn nicht? Glauben ja auch wir, daß jene dieses Schicksal traf. Mag es ein gutes Ende finden! So hoffe als Erstes und Wichtigstes, daß Menelaos (675) noch irgendwo fährt! Findet ihn ein Sonnenstrahl noch gesund und lebend, darf man hoffen, daß er mit Hilfe des Zeus, der dieses Geschlecht noch nicht vertilgen will, nach Hause zurückkehrt. (680) Nun hast du alles gehört und darfst glauben, daß es Wahrheit ist.

Chor.
Wer war es doch, der sie so treffend benannte – einer wohl, den wir nicht sehen, der das Verhängnis ahnte und (685) den rechten Ausdruck fand – Speerbraut, vielumkämpfte Helena? Denn, wie der Name sagt, war sie Schiffs-Hel, Männer-Hel und (690) Stadt-Hel, entfloh den feingewebten Vorhängen des Ehebetts, fuhr fort im Wehen des gewaltigen Westwinds; zahlreiche schildtragende Jäger folgten zu blutigem Streit der (695) unsichtbaren Spur des Schiffs, das gelandet war an des Simoeis waldigem Ufer. Nach Ilion brachte Göttergroll mit Vorsatz eine Trauerhochzeit – so muß man sie nennen – (700) und rächte hernach die Beleidigung des Gastrechts und des herdschützenden Zeus an denen, die das (705) Brautlied, den Hymenaios, mit lauter Stimme sangen, ein Lied, das damals den Schwägern zu singen zukam. Später aber lernte die (710) alte Priamos-Stadt einen anderen Hymnos, einen jammerreichen, stöhnt jetzt wohl laut und nennt Paris Unglücksfreier, (715) weil sie eine Zeit voller Bürgertränen und heilloses Blutvergießen erdulden mußte.

Es zog ein Mann in seinem Haus ein Löwenjunges auf, dem die säugende Mutter fehlte, (720) zu Beginn seines Lebens, zahm, kinderlieb, selbst Alten erfreulich. Oft hing es im Arm wie ein kleines Kind, (725) freundlich blickend nach der Hand, die es nährte, und schmeichelnd im Zwang des Hungers. Doch als es älter geworden, bewies es die Art seiner Eltern; denn es dankte den Ernährern, indem es sich ungeheißen (730) in lämmermordendem Frevel ein Mahl bereitete. Mit Blut wurde das Haus besudelt, ein unbezwingliches Leid für die Bewohner, gewaltiger Schaden, Tod vieler. (735) Nach göttlichem Willen zog man einen Opferpriester des Unheils im Hause auf.

Ganz so, möchte ich sagen, kam in die Stadt Ilion (740) ein Wesen wie spiegelglattes Meer, ein sanftes Kleinod des Reichtums, süßer Augenpfeil, herzverwundende Liebesblüte. Sich wandelnd aber schuf sie (745) ein bitteres Ende der Hochzeit, nistete sich ein zum Unheil, stiftete Unfrieden und stürzte sich auf die Priamossöhne, eine vom gastlichen Zeus gesandte Erinys, eine Tränenbraut. (750)

Ein altes Wort gilt überall bei den Menschen: Daß großes, vollendetes Glück eines Mannes fortzeugt und nicht kinderlos stirbt, (755) aus Glück aber später dem Hause unendlicher Jammer sproßt. Doch abseits von allen steh' ich allein mit meiner Meinung. Ich nämlich sage: Die ruchlose Tat gebiert weitere, (760) die der Mutter gleichen. Denn nur in rechtlichen Häusern erbt sich stets das Gute fort.

In bösen aber pflegt alte Frechheit (765) neue zu gebären, die jugendlich-keck ist zum Leid der Menschen; doch kommt der Schicksalstag, gebiert die neue Frechheit einen weiteren Dämon, einen unwiderstehlichen, unbezwinglichen, unheiligen, (770) die Vermessenheit schwarzer Schuld im Hause, ganz gleich ihren Eltern.

Rechtlichkeit aber strahlt selbst in rauchschwarzer Hütte und (775) bringt unsträflichen Lebenswandel zu Ehren; von goldgeschmückten Sitzen jedoch in schmutziger Hand wendet sie das Auge und richtet es auf reine Stätten. Die Macht fälschlich gepriesenen Reichtums achtet. sie nicht. (780) Alles lenkt sie zu seinem Ziel.

Wohlan, König, Troias Zerstörer, Sproß des Atreus, wie soll ich dich anreden, (785) wie dich verehren, ohne das Maß der Huldigung zu überschreiten oder darunter zu bleiben? Viele Menschen ziehen Schein dem Sein vor, verfehlen das Rechte. (790) Mit einem Unglücklichen jammert jeder sogleich, doch dringt der Biß der Trauer nicht in sein Herz. Auch freut man sich heuchlerisch mit, zwingt sich ein Lächeln auf. (795) Wer aber seine Schäfchen gut kennt, den täuscht nicht der Blick des Mannes, der Wohlwollen heuchelt und in verstellter Freundschaft schmeichelt.

Du erschienst mir damals, als du wegen Helena das Heer aufbotest, (800) – ich will es nicht verhehlen – als ein Mann, der ungeschickt und unklug das Steuer des Verstandes lenkt, weil du durch jenes Opfer todgeweihten Männern Mut einflößen wolltest. (805) Nun aber bin ich herzlich und aufrichtig all denen wohlgesinnt, die den Krieg siegreich beendet haben. Du freilich wirst mit der Zeit genau forschend erkennen, wer von den Bürgern rechtlich und wer nicht nach Gebühr die Stadt verwaltete. (810)

Agamemnon.
Zuerst ziemt es sich, Argos und die Landesgötter zu grüßen, die mir zur Rückkehr halfen und zu gerechter Rache, die ich an der Stadt des Priamos übte. Die Götter nämlich hörten den Rechtshandel nicht aus dem Munde der Parteien an, sondern warfen männertötende, Ilion verderbende Stimmsteine (815) in die Todesurne; ihr Urteil schwankte nicht. Zum andern Lostopf aber, der sich nicht gefüllt, trat nur die Hoffnung. Jetzt noch kündet Rauch von der Zerstörung der Stadt. Immer noch toben Stürme des Verderbens; (820) verglimmende Asche entsendet fetten Qualm des Reichtums. Man muß den Göttern vielfach Dank wissen und zollen, denn wir rächten maßlose Leiden, und das argivische Ungeheuer, (825) des Rosses Brut, vertilgte Ilions schildtragendes Kriegsvolk wegen des Weibes, zum Sprung sich erhebend beim Untergang der Pleiaden. Es übersprang die Turmmauer als blutgieriger Löwe, leckte sich satt an Königsblut.

Den Göttern zu Ehren hielt ich diese lange Vorrede. (830) Deinen Rat aber hörte ich und will ihn im Sinn behalten; ich sage dasselbe und stimme dir zu. Nur wenigen Menschen ist es ja gegeben, das Glück des Freundes neidlos zu verehren. Sitzt doch das Gift der Mißgunst im Herzen und (835) verdoppelt die Qual dessen, der damit behaftet ist; er wird von eigener Not bedrückt und seufzt, wenn er den Wohlstand eines anderen sieht. Ich kann mit Recht – des Umgangs Spiegel hat es mir gezeigt – jene das Scheinbild eines Schattens nennen, (840) die mir besonders zugetan erscheinen. Allein Odysseus, der nicht willig mit uns fuhr, war, einmal angejocht, bereit, mit mir an einem Strang zu ziehen, mag ich nun von einem Lebenden oder Toten sprechen. Alles andere, was Staat und Götter angeht, (845) wollen wir gemeinsam wetteifernd in der Versammlung beraten. Und zwar muß man beraten, wie das, was wohlbestellt ist, fortbesteht; bedarf aber etwas ärztlicher Mittel, so werden wir mit Brennen oder Schneiden wohlmeinend (850) versuchen, die verderbliche Krankheit zu tilgen.

Nun will ich zu Halle und Herd meines Hauses gehen und zuerst mit erhobener Hand die Götter grüßen, die mich in die Ferne geleiteten und wieder heimführten. Möge Nike, die mir immer folgte, beharrlich bei mir bleiben! (855)

Klytaimestra.
Ihr Bürger, Älteste der Argeier hier! Ich schäme mich nicht, die Liebe zu meinem Gatten vor euch zu bekennen; mit der Zeit verliert ja der Mensch die törichte Scheu. Ich muß es nicht von anderen lernen, mein schwer zu ertragendes Leben zu schildern (860) in der Zeit, als Agamemnon vor Ilion lag. Vor allem ist es furchtbar schwer, wenn eine Frau fern von ihrem Mann einsam daheimsitzt und oft schlimme Kunde hört; dazu kommt bald der eine, bald ein anderer, bringt noch schlimmere Nachricht (865) und kündet dem Hause Leid. Und hätte der Mann hier so viele Wunden empfangen, als Gerüchte davon heimgelangten, wäre er sozusagen durchlöcherter als ein Netz. Und wäre er so oft gefallen, wie die Kunde ging, könnte er sich (870) als zweiter dreileibiger Geryon rühmen, ein dreifaches Leichentuch aus Erde zu haben, mit jedem Leib einmal gestorben. Wegen solch schlimmer Gerüchte mußten mich andere (875) oft gewaltsam festhalten und Schlingen über meinem Hals lösen.

Deshalb auch steht unser Sohn Orestes, unserer Ehe Unterpfand, nicht hier an meiner Seite, wie es sein sollte. Wundere dich nicht darüber! (880) Ihn pflegt unser treuer Gastfreund Strophios von Phokis, der mir doppeltes Unheil vor Augen stellte, deine Gefährdung vor Ilion und die Gefahr, daß ein Volksaufstand den Rat stürze, wie es denn Art der Menschen sei, (885) Gefallene noch mit Füßen zu treten. Und diese Begründung ist wahrlich frei von Hintergedanken.

Mir freilich versiegte der Quell aufsteigender Tränen, kein Tropfen ist mehr da. Spät erst fanden meine Augen Schlaf und sind vom Weinen trüb, weil (890) man die Feuerzeichen deiner Heimkehr ewig nicht entfachte. Das feine Schwirren und Summen einer Mücke schreckte mich aus Träumen; ich sah dich in mehr Leiden, als dich treffen konnten in der Spanne, die ich schlief. (895)

Da ich dies alles als Wächterin des Hauses erlitt, darf ich jetzt mit grambefreitem Herzen den Mann hier Rettungs-Seil des Schiffes nennen, des hohen Daches stützende Säule, einziges Kind eines Vaters, den Schiffern unverhofft erschienenes Land, (900) Anblick des heiteren Tags nach einem Sturm, Quellrieseln für den durstigen Wanderer. Wie herrlich ist es, aller Not entronnen zu sein! Darum halte ich ihn so ehrenvoller Begrüßung wert. Neid aber bleibe fern! Denn zuvor ertrugen wir viele Übel. (905) Nun aber, teures Haupt, steige von deinem Wagen, doch setze, Herr, den Fuß, der Ilion zertrat, nicht auf die bloße Erde!

Was säumt ihr, Mägde, denen aufgetragen ist, den Boden, über den er schreitet, mit Teppichen zu belegen? (910) Sogleich bedecke sich der Pfad mit Purpur, und Dike führe ihn, der unverhofft erschien, ins Haus. Das Weitere wird meine Sorge, unbesiegt von Schlaf, nach Recht ausführen mit der Götter Hilfe.

Agamemnon.
O Tochter Ledas, Wächterin meines Hauses! (915) Deine Rede srtimmt zu meinem langen Fernsein, denn auch du sprachst lang. Doch die Ehrengabe schicklichen Lobes muß von anderen kommen. Auch sollst du mich nicht nach Weiberart verzärteln noch dich wie ein Barbar (920) zur Erde werfen, laut schreien und meinen Einzug durch hingebreitete Gewänder dem Neid aussetzen. Nur Götter soll man so ehren; ich aber, ein Sterblicher, vermag über diese bunte Pracht nicht ohne Angst zu schreiten. (925) Ich meine, du sollst mich wie einen Menschen ehren, nicht wie einen Gott. Auch ohne Teppiche und bunte Decken erschallt mein Ruhm. Und gute Sinnesart ist Gottes beste Gabe. Glücklich aber ist nur der zu preisen, der sein Leben in erwünschtem Glück beschloß. (930) Darum sage ich: Ergeht es mir so, bin ich guten Mutes.

Klytaimestra.
Und doch! Widersprich hier meinem Willen nicht!

Agamemnon.
Ich werde, glaub' mir, von meinen Grundsätzen nicht abgehen.

Klytaimestra.
Du hast wohl in Bedrängnis Göttern solches Tun gelobt?

Agamemnon.
Wenn je einer, sprach ich diesen Entschluß wohlüberlegt aus. (935)

Klytaimestra.
Was, glaubst du, täte Priamos, hätte er deine Taten vollbracht?

Agamemnon.
Er schritte gewiß auf bunten Teppichen einher.

Klytaimestra.
So scheue nicht der Menschen Tadel!

Agamemnon.
Doch ist des Volks Gerede eine große Macht.

Klytaimestra.
Wer aber nicht beneidet wird, ist nicht beneidenswert. (940)

Agamemnon.
Einem Weib ziemt es nicht, Streit zu suchen.

Klytaimestra.
Doch Glücklichen steht es an, auch nachzugeben.

Agamemnon.
Hältst du den Sieg in diesem Streit der Mühe wert?

Klytaimestra.
Willfahre mir! Du bleibst der Herr, doch hierin gib mir willig nach!

Agamemnon.
Nun, wenn du meinst, soll man mir rasch die Schuhe, (945) der Füße Diener, lösen. Und trete ich auf diese Purpurtücher, soll mich kein neidisches Götterauge von ferne treffen! Denn ich fühle große Scheu, auf die kostbaren, mit Silber erkauften Gewebe zu treten, sie zu beschmutzen und zu verderben. (950)

Genug davon! Die Fremde da führe freundlich hinein! Auf einen milden Herrn schaut die Gottheit aus der Ferne mit Wohlwollen. Freiwillig beugt ja keiner sich dem Sklavenjoch. Diese Frau, erlesenes Kleinod aus reicher Beute, (955) ein Geschenk des Heeres, mußte mir folgen. Und da ich deinem Wunsche nachgab und mich fügte, will ich, auf Purpur schreitend, des Hauses Hallen betreten.

Klytaimestra.
Es gibt ja ein Meer – wer wird es austrocknen? -, das vielen, silberwerten Purpursaft (960) stets neu erzeugt zur Färbung der Gewänder. Wir haben, Dank den Göttern!, Überfluß an solchen Dingen. Mangel kennt unser Haus nicht. Ich wäre gern auf viele Gewänder getreten, wären dem Haus gute Orakel zugekommen, als ich mich um (965) Rettung deines Lebens sorgte. Lebt nämlich die Baumwurzel noch, dringt dichtes Laub zum Dach und breitet in den Hundstagen Schatten darüber. Deine Heimkehr zum häuslichen Herd ist wie Wärme, die im Winter kam. (970) Zur Zeit aber, wo Zeus die saure Traube zu Wein reifen läßt, verbreitet sich erst Kühlung im Haus, wenn dessen Herr darin waltet. Zeus, Vollender Zeus, vollende meine Wünsche! Nimm dich der Sache an, die du vollenden willst! (975)

Chor.
Warum nur schwebt mir immer solche Angst vor ahnungsvollemHerzen, warum weissagt mir ungeheißen, unentlohnt der Seherspruch, (980) und warum nimmt nicht sicherer Mut, die Angst abweisend wie wirre Träume, den Thron meines Herzens ein? (985) Lang ist's her, daß beim Heraufholen der Ankertaue Sand aufflog und zerstob, als das Heer die Schiffe bestieg und nach Ilion aufbrach.

Nun sah ich die Heimkehr mit eigenen Augen, bin selbst Zeuge. (990) Und doch singt im Innern das Herz von selbst, ohne Leier, das Trauerlied der Erinys, hegt nicht volle Hoffnung und Zuversicht. Nicht grundlos aber bangt das Gefühl, (995) wenn in rechtlicher Brust das Herz erbebt von Schicksalswirbeln. Doch bete ich, daß sich meine Angst (1000) als Täuschung in Nichts auflöst.

Fülle der Gesundheit...denn Krankheit, die Wand an Wand wohnt, drängt an. (1005) Und mitten auf glücklicher Fahrt strandet das Schiff an verborgener Klippe. Wirft nun der besorgte Herr (1010) mit wohlgemessenem Wurf einen Teil seiner Habe über Bord, so geht das allzu reiche Haus nicht ganz unter, das Schiff versinkt nicht im Meer. (1015) Reichliche Gabe, von Zeus und üppig tragender Furche Jahr um Jahr geschenkt, vertreibt ja Hungersnot.

Das (1020) schwarze Blut eines Menschen aber, einmal im Sterben zur Erde geflossen, wer riefe es wieder zurück durch Beschwörung? Zeus gebot Asklepios, der es trefflich verstand, Hingeschiedene wieder heraufzuführen, Einhalt, tat ihm jedoch kein Leid an. (1025) Hinderte nicht die von Göttern gesetzte Grenze zwischen den Ständen, sich zu viel anzumaßen, eilte mein Herz der Zunge voraus und sprudelte meine Besorgnis hervor. (1030) So aber murrt es unten im Dunkel, sich grämend und nimmermehr glückliche Lösung erhoffend, und mein Geist leidet feurige Qualen. (1035)

Klytaimestra.
Begib auch du dich hinein! Kassandra meine ich. Nicht im Groll beschied dir Zeus, daß du in diesem Haus an der Handwaschung vor dem Mahl teilnimmst und mit vielen Dienerinnen am Hausaltar stehst. Steig' aus diesem Wagen und sei nicht gar so stolz! (1040) Denn auch Alkmenes Sohn wurde einst, wie es heißt, verkauft und mußte es dulden, Sklavenbrot zu essen. Ist einem dieses harte Los bestimmt, bietet eine altbegüterte Herrschaft manchen Vorteil. Wer aber wider Erwarten reich wurde, ist hart (1045) gegen seine Sklaven. Alles, was der Brauch erheischt, hast du bei uns, und zwar nach der Richtschnur.

Chor.
An dich hat sie eben das deutliche Wort gerichtet und ausgesprochen. Da du im Netz des Schicksals hängst, gehorche, wenn du gehorchen willst! Vielleicht aber gehorchst du auch nicht. (1050)

Klytaimestra.
Spricht sie nicht nach Schwalbenart eine unbekannte, fremde Sprache, dringt mein Wort in ihr Inneres und überredet sie.

Chor.
Folge! Sie sagt bei deiner Lage das Beste. Gehorche, steig' von deinem Wagensitz!

(1055)

Klytaimestra.
Ich habe nicht die Zeit, hier vor der Tür zu verweilen. Denn am Herd in der Mitte des Hauses stehen schon Schafe zum Opfer bereit. Willst du dabei helfen, warte nicht lang! (1060) Kannst du aber meine Rede nicht fassen und verstehen, gib statt der Worte Zeichen mit deiner Barbarenhand!

Chor.
Die Fremde braucht wohl einen tüchtigen Dolmetscher. Sie verhält sich wie ein frischgefangenes Wild.

Klytaimestra.
Wahrhaftig! Sie ist rasend, hört nur ihren bösen Geist; (1065) sie kommt aus einer eben eroberten Stadt und weiß noch nicht den Zaum zu tragen, bevor sie, blutig gerissen, ihre Wut ausschäumt. Doch will ich meine Worte nicht verschwenden und mich herabwürdigen.

Chor.
Ich aber – denn ich fühle Mitleid – will nicht zürnen. (1070) Komm, Arme, steig vom Wagen, ergib dich in dein Schicksal, nimm das Joch auf dich!

Kassandra.
Ototoi! Wehe! Erde! Apollon! Apollon!

Chor.
Was heulst du so auf über Loxias? (1075) Er ist kein Gott, den man mit Wehruf ehrt.

Kassandra.
Otototoi! Ach! Wehe! Erde! Apollon! Apollon!

Chor.
Schon wieder ruft sie mit Unheilsworten nach dem Gott, dem es nicht zukommt, Zeuge von Wehklagen zu sein. (1080)

Kassandra.
Apollon! Apollon! Mein Geleiter, mein Vernichter! Ja, ohne Zögern vernichtest du mich zum zweitenmal.

Chor.
Sie scheint über ihr eigenes Unglück zu weissagen. Des Gottes Gabe bleibt auch in der Sklavenbrust. (1085)

Kassandra.
Apollon! Apollon! Mein Geleiter, mein Vernichter! Ach, wohin hast du mich geführt? Zu welchem Haus?

Chor.
Zu dem der Atriden. Wenn du das nicht weißt, sag' ich es dir. Und diese Worte wirst du nicht Lüge nennen.

Kassandra.
Ach, ach! (1090) In ein gottverhaßtes Haus also, Zeuge vieler Verwandtenmorde und abgeschlagener Häupter, in ein Menschenschlachthaus mit blutbespritztem Boden!

Chor.
Die Fremde scheint eine gute Witterung zu haben wie ein Hund und sucht, welchen Mord sie aufspüren kann. (1095)

Kassandra.
Ja, diesen Wahrzeichen glaube ich: Kleine Kinder dort, die ihre Schlachtung beweinen und das gebratene Fleisch, das ihr Vater aß.

Chor.
Wir wissen zwar von deinem Seherruhm, doch dafür brauchen wir keine Propheten. (1100)

Kassandra.
Wehe! Was denkt sie doch aus? Welch neues Unheil ist dies? Großes, großes Übel, unerträglich den Verwandten, heillos, sinnt sie in diesem Haus. Und nirgends Hilfe weit und breit. (1105)

Chor.
Diese Sehersprüche begreife ich nicht. Was aber damals geschah, weiß ich; die ganze Stadt schreit es aus.

Kassandra.
Weh dir, Unselige! Ja, du wirst es ausführen, während du den Bettgenossen, deinen Gemahl, im Bade wäschst. Wie sag' ich nur das Ende? (1110) Denn rasch wird es geschehen. Hand um Hand streckt geschäftig sich aus.

Chor.
Noch immer verstehe ich nicht. Denn jetzt, nach diesen dunklen Rätselsprüchen, bin ich ratlos. (1115)

Kassandra.
Hu! Schrecklich! Entsetzlich! Was erscheint dort? Ein Fangnetz des Hades? Da ist das Beil, ihr Bettgenoß, ihr Mordhelfer! Der unersättliche Hader im Atriden-Stamm jauchze über den Mord, der Steinigung verdient!

Chor.
Welche Erinys heißt du da ihren Gesang gegen das Haus (1120) anheben? Deine Rede umwölkt mir den Sinn. Zum Herzen strömt mir ein safranfarbiger Tropfen, wie er auch Speergetroffenen am Ende fließt, wenn das Lebenslicht verlöscht. Schnell schreitet das Unheil. (1125)

Kassandra.
Da! Schau! Schau! Halte den Stier von der Kuh fern! In Gewändern ihn verstrickend schlägt sie zu mit dem Werkzeug, dessen Griff aus schwarzem Horn ist. Er stürzt in den Wasserbottich. Ich künde dir dir List mit der tückisch mordenden Wanne. (1130)

Chor.
Ich rühme mich nicht, Göttersprüche scharfsinnig zu deuten, doch aus diesen Worten ahne ich Unheil. Wann käme auch von Sehersprüchen Menschen gute Kunde? Unheil lehrt uns ja, bei wortreichen Seherkünsten (1135) Furcht zu fühlen.

Kassandra.
Wehe, ich Leidbeladene, wehe, mein schlimmes Los! Denn du, Apollon, hast mein Leid ins allgemeine Leid verwoben. Wozu führtest du mich Arme hierher? Doch nur, daß ich mitsterbe! Wozu sonst? (1140)

Chor.
Eine Wahnsinnige bist du, besessen, singst über dich selbst ein Trauerlied, wie die braune, im Klagen unersättliche Nachtigall im Gram ihres Herzens, ach, ihren Itys ihr jammervolles (1145) Leben hindurch beweint.

Kassandra.
Ach, ach, das Los der hellstimmigen Nachtigall! Die Götter schenkten ihr ja ein Federgewand und süßes Leben ohne Tränen. Mich aber erwartet Spaltung durch zweischneidiges Schwert. (1150)

Chor.
Woher hast du diese anstürmenden, gottgesandten, quälenden Gaukelbilder, singst grausig in unheilvollem Ton und gellenden Weisen? Woher kommt dir die unheilkündende Sicherheit (1155) der Weissagung?

Kassandra.
Weh! O Ehe, Ehe des Paris, Verderben der Freunde! O Heimatstrom Skamandros! Einst ward ich Unselige an deinen Ufern aufgezogen. (1160) Jetzt aber werde ich wohl bald mein Seherlied am Kokytos und an Acherons Rand singen.

Chor.
Welch allzu deutliches Wort sprachst du nun! Ein neugeborenes Kind könnte es verstehen. Ich aber bin von blutigem Biß verletzt, (1165) da du im Schmerz über dein Los wimmerst und mein Ohr verwundest.

Kassandra.
O Jammer, Jammer der gänzlich zerstörten Stadt! O Opfer meines Vaters zum Schutz der Mauern, bei denen viele grasweidende Herdentiere starben! Doch kein Mittel (1170) schützte die Stadt vor ihrem Elend. Mein warmes Blut aber wird bald zur Erde strömen.

Chor.
Diese Rede paßt zu deinen früheren Worten. Und welcher böse Dämon zwingt dich, (1175) überschwer einstürmend, dein trauriges, todbringendes Leid zu singen? Was aber geschehen soll, sehe ich nicht.

Kassandra.
Wahrlich, mein Seherspruch wird nicht mehr hinter einem Schleier hervorblicken wie eine neuvermählte Braut, (1180) nein, klar verständlich wehe er stürmend zum Sonnenaufgang und bringe, rauschend wie die Woge, viel größeres Leid als meines ans Licht. Ich will nicht mehr in Rätseln lehren. Ihr aber sollt mir Schritt für Schritt bezeugen, daß ich die Spur der (1185) alten Frevel wittere.

Aus diesem Hause weicht ja nie der Chor der Erinyen; einstimmig ist er, doch tönt er nicht wohl und spricht nichts Gutes. Nein, nachdem er, um kecker zu werden, Menschenblut getrunken, hält sich der Schwarm der (1190) Rachegeister von Verwandten im Haus und ist nicht zu vertreiben. Sie sitzen im Haus und singen ihr Lied von der Urschuld. Der Reihe nach stoßén sie Schmähungen aus, dem grollend, der das Ehebett des Bruders schändete. Schoß ich fehl, oder treffe ich wie ein guter Bogenschütze? (1195) Oder bin ich nur eine bettelhafte, geschwätzige Lügenprophetin? Streite all dies ab, doch schwöre mir zuvor, die alten Sünden dieses Hauses nie gehört zu haben!

Chor.
Was hülfe hier selbst ein gewissenhafter Eid? Staunen aber muß ich, wie du, (1200) jenseits des Meeres als Fremde erzogen, alles so richtig erzählst, als wärst du dabeigewesen.

Kassandra.
Der Sehergott Apollon übertrug mir dieses Amt. (1204)

Chor.
Wohl gar, wenn auch ein Gott, vom Liebespfeil getroffen? (1203)

Kassandra.
Früher hätte ich mich geschämt, dies zuzugeben (1205)

Chor.
Freilich, jeder, dem es zu gut geht, hat seinen Stolz.

Kassandra.
Ach, jener war ein Freier, der mich heiß umwarb.

Chor.
Und zeugtet ihr auch Kinder, wie es immer geht?

Kassandra.
Ich hatte es versprochen, täuschte aber Loxias.

Chor.
Warst du da schon von gottbegeisterter Weissagekunst ergriffen? (1210)

Kassandra.
Schon sagte ich den Bürgern alles Leid voraus.

Chor.
Und bliebst du dann vom Groll des Loxias verschont?

Kassandra.
Nein. Niemand glaubte mir, seit ich mich so verfehlt.

Chor.
Uns freilich scheint deine Weissagung glaubhaft.

Kassandra.
Weh, weh! Ach! Welcher Schmerz! (1215) Schon wieder zwingt mich schrecklicher Drang wahrhafter Weissagung und schüttelt mich, da er beginnt. Seht ihr sie dort auf dem Haus sitzen, die Kinder, Traumbildern vergleichbar? Knaben, wohl von Verwandten getötet, die (1220) Hände gefüllt mit eigenem Fleisch, mit Fraß, von dem Verwandte essen; deutlich sichtbar halten sie ihre Gedärme samt den Eingeweiden, jämmerliche Innereien, von denen ihr Vater kostete. Darum, sage ich, sinnt einer, ein kraftloser Löwe, der sich im Bett wälzt, (1225) ein Stubenhocker, auf Rache, wehe, gegen meinen heimgekehrten Herrn (denn dessen Sklavenjoch muß ich ja tragen). Und der Gebieter der Flotte, Ilions Zerstörer, weiß nicht, welches Unheil die verhaßte Hündin, die mit der Zunge leckt und froh das Ohr spitzt, wie ein lauernder (1230) Dämon anrichten wird. So groß ist ihre Frechheit: Ein Weib ermordet einen Mann! Wie soll ich das verhaßte Untier treffend nennen? Doppelschlange oder Skylla, die in Felslöchern haust, Unheil der Schiffe? (1235) Oder mörderische Todesmutter, die gegen Angehörige unversöhnlich Haß schnaubt? Wie sie aufgejauchzt hat, die Ruchlose, wie bei günstiger Wendung einer Schlacht! Wie sie Freude heuchelt über Heimkehr und Rettung! Und wenn man solchen Frevel mir nicht glaubt, was liegt daran? (1240) Was kommen soll, das kommt. Und du wirst bald Augenzeuge sein und jammernd gestehen, daß ich die Wahrheit nur zu deutlich künde.

Chor.
Des Thyestes Mahl vom Fleisch seiner Kinder verstand ich wohl; Schauder und Furcht fassen mich, da ich die Wahrheit höre, nichts Erdichtetes. Beim (1245) andern, das ich hörte, kam ich nicht mehr mit.

Kassandra.
Ich sage: Du wirst Agamemnons Tod sehen.

Chor.
Schweig, Unselige! Sprich nur Worte guter Vorbedeutung!

Kassandra.
Und doch ist keine Hilfe gegen meinen Spruch.

Chor.
Nicht freilich, wenn er eintrifft. Doch das soll nie geschehen! (1250)

Kassandra.
Du sprichst noch fromme Wünsche, jene aber rüsten schon zum Mord.

Chor.
Wer ist der Mann, der so leidvolle Tat ausführt?

Kassandra.
Ach, du verstandest nur sehr schlecht mein Seherwort.

Chor.
Ja, denn ich begriff nicht, wer die Falle stellt.

Kassandra.
Und ich spreche doch das Hellenische nur zu gut. (1255)

Chor.
Auch Delphi spricht hellenisch, doch versteht man es nur schwer.

Kassandra.
Wehe! Welches Feuer kommt da heran? Ototoi! Lykischer Apollon! Weh mir!

Diese zweifüßige Löwin, Beischläferin eines Wolfs, während der edle Löwe fern war, (1260) wird mich Arme morden. Um ihm den Gifttrank zu bereiten, wird sie auch die Rache an mir beimischen. Sie wetzt für ihren Mann das Messer und prahlt, sie räche sich durch meinen Tod, weil er mich hergeführt.

Wozu trage ich noch diesen Schmuck, der meiner nur spottet, (1265) das Szepter und die Seherkränze um den Hals? Euch will ich noch vor meinem Tod vernichten. Fort mit euch ins Verderben! Da liegt ihr! So vergelt' ich euch. Beglückt statt meiner eine andere mit Unheil! Sieh da, Apollon selbst zieht mir (1270) das Sehergewand aus, er, der mitansah, wie mir dieser Schmuck seit je von Freund wie Feind nur grundlos Spott eintrug. Ich mußte es dulden, eine fahrende, bettelhafte, elende, verhungerte Gauklerin zu heißen. (1275) Und jetzt rächt sich der Sehergott an der Seherin und führte mich zu solchem Todeslose fort. Statt des Altars im Vaterhaus erwartet mich der Hackblock, der sich röten wird vom warmen Blut der Erschlagenen.

Doch sterben wir nicht, ohne daß uns Götter rächen. (1280) Denn kommen wird ein anderer, der uns wieder rächt, muttermörderischer Sproß, der seines Vaters Tod vergilt. Unsteter Flüchtling, aus diesem Land vertrieben, kehrt er zurück und setzt den Freveln seiner Sippe den Schlußstein auf. Der mordgefällte Vater führt ihn einst hierher. (1285) Doch warum zögere ich und stöhne so auf? Sah ich doch vorher Ilion erleiden, was es litt. Die Eroberer der Stadt aber werden durch unseren Tod dem Gericht der Götter entkommen. So will ich gehen, leiden und den Tod erdulden. (1290) Denn darüber ist von den Göttern ein hoher Eid geschworen. Doch fleh' ich diese Hadespforten an und wünsche gleich den Todesstreich, um, wenn mein Blut in raschem Tod verrinnt, mein Auge ohne Todeskampf zu schließen. (1295)

Chor.
O Weib, reich an Jammer, reich aber auch an Weisheit! Lang hast du gesprochen. Wenn du aber dein Schicksal so sicher weißt, warum trittst du wie ein gottgetriebenes Rind mutig zum Altar?

Kassandra.
Kein Entrinnen, Freunde, gibt es über die Zeit hinaus. (1300)

Chor.
Doch selbst die letzten Stunden schätzt man hoch.

Kassandra.
Mein Tag ist da, und wenig bringt mir Flucht.

Chor.
Nur wisse, daß dir Kühnheit Leiden bringt.

Kassandra.
Doch ist es Gnade für den Menschen, in Ergebenheit zu sterben.

Chor.
Auf solche Worte hört kein Glücklicher. (1305)

Kassandra.
Weh, Vater, über dich und deine edlen Kinder!

Chor.
Was ist? Welches Schreckbild treibt dich zurück?

Kassandra.
Weh, wehe!

Chor.
Warum rufst du so Wehe? Oder schreckt etwas Grausiges deinen Sinn?

Kassandra.
Das Haus haucht Mordgeruch träufelnden Blutes aus. (1310)

Chor.
Nicht doch! Es duftet nur vom Opfer am Altar.

Kassandra.
Nein, das ist Dunst, wie er aus einem Grabe steigt.

Chor.
Nicht syrischen Wohlgeruch rühmst du dem Hause nach.

Kassandra.
Ich gehe und kann drinnen noch mein Los und Agamemnons Los bejammern. Ich habe genug gelebt. (1315)

Ach, Freunde! Ich wimmere nicht ängstlich wie der Vogel vor dem Busch. Das sollt ihr mir nach meinem Tod bezeugen, wenn das Weib zur Rache für mich, das Weib, stirbt, und der Mann zur Rache für den schlimmbeweibten Mann fällt. (1320) Dies erbitte ich von euch als Gastgeschenk, wenn ich nun in den Tod gehe.

Chor.
Du Arme! Du jammerst mich, weil du dein Los im Voraus weißt.

Kassandra.
Noch einmal will ich ein Wort oder eine Klage für mich selbst vorbringen. Bei meinem letzten Sonnenlicht flehe ich meine Rächer an, den Mördern meines Herrn zugleich die (1325) Schuld an mir heimzuzahlen, der ermordeten Sklavin, die leicht zu töten war. Was ist das Menschenleben! Ist es glücklich, vernichtet es ein Schatten; ist es aber elend, löscht ein feuchter Schwamm, darüber wischend, seine Schrift. (1330) Und dies beklage ich noch mehr als jenes.

Chor.
Vom Glück bekommen alle Menschen nie genug. Von Häusern selbst, auf die man rühmend weist, hält keiner es fern, indem er es abweist und ruft: „Komm nicht mehr herein!“ (1335) So gewährten die Seligen zwar Agamemnon, die Priamos-Stadt zu erobern; er kehrte heim, von den Göttern geehrt. Büßt er nun aber der Ahnen Blutschuld und zahlt, zur Sühne für die Ermordeten getötet, (1340) Strafe für fremde Mordtaten – welcher Mensch, der dies hört, möchte sich rühmen, unter glücklichem Stern geboren zu sein?

Agamemnon.
Weh mir! Mich traf ein tödlicher Streich in die Seite!

Chor.
Still! Wer schreit da, tödlich verwundet, von einem Streich? (1345)

Agamemnon.
Und aber wehe! Ein zweiter Streich traf mich.

Chor.
Der Schrei des Königs zeigt wohl, daß der Mord vollbracht. Auf, Männer, fassen wir gemeinsam den richtigen Entschluß!

I. Ich sag' euch meine Meinung: Man rufe die Bürger durch den Herold hierher zum Palast! (1350)

II. Ich aber schlage vor, schleunigst einzudringen und die Tat durch das von frischem Blut triefende Schwert nachzuweisen.

III. Ich stimme diesem Vorschlag zu und bin dafür, zu handeln. Zaudern ist hier nicht am Platz.

IV. Man sieht es ja: Mit solchem Vorspiel zeigen sie der Stadt, (1355) daß nun die Tyrannei beginnt.

V. Und wir vertrödeln Zeit. Sie aber verachten rühmliche Vorsicht und legen die Hände nicht in den Schoß.

VI. Ich weiß gar nicht, was ich raten soll. Wer handeln will, muß vorher erst beraten. (1360)

VII. So geht's auch mir. Mit Worten weckt man ja den Toten nicht mehr auf.

VIII. Sollen wir, nur um länger zu leben, den Schändern dieses Hauses als Herrschern gehorchen?

IX. Das wäre unerträglich. Da ist Sterben besser. (1365) Tod ist milder noch als Tyrannei.

X. Beweisen uns die Schreie wirklich, daß der Mann verloren ist?

XI. Wir brauchen Gewißheit, ehe wir Worte darüber machen. Vermuten und genaues Wissen sind ja zweierlei. (1370)

XII. Ich glaube mit der Mehrheit, daß man Gewißheit haben muß, wie es um den Atriden steht.

Klytaimestra.
Ich schäme mich nicht, das Gegenteil von vielem zu sagen, was ich früher, der Not gehorchend, sagte. Wie sonst könnte man Feinden, die Freunde scheinen, als Feind begegnen (1375) und ihnen ein Unheilsnetz stellen, zu hoch, um es zu überspringen? Ich habe diesen Kampf seit langem geplant, und endlich, wenn auch spät, kam doch der Sieg.

Ich stehe hier, wo ich zuschlug, über den Getöteten. (1380) So tat ich es und werde es nicht leugnen: Einen riesigen Überwurf, tückischen Überfluß an Gewändern, warf ich wie ein Fischernetz um ihn, so daß er weder fliehen noch sein Los abwehren konnte. Zweimal schlug ich auf ihn ein, und zweimal Wehe! schreiend (1385) streckte er die Glieder. Und als er dalag, gab ich noch den dritten Streich als Weihegeschenk für den unterirdischen Zeus, den Totenretter. So hauchte er, gefällt, sein Leben aus. Er sprudelt einen scharfen Blutstrahl aus, (1390) trifft mich mit dunklen Tropfen roten Taus; ich freute mich daran nicht minder als die Saat an gottgesandtem Regen, wenn sie keimend schwillt. Da es so steht, ihr Ältesten der Achaier, so freut euch, wenn ihr wollt; ich aber juble laut. (1395) Und ziemte es sich, zum Dank, daß einer starb, Trankkopfer darzubringen, geschäh' es hier mit Recht, ja mehr als Recht. Einen Becher so fluchbringenden Unheils hat er in diesem Haus gefüllt und nun nach seiner Rückkehr selbst geleert.

Chor.
Wir staunen, daß du mit so kühnen Worten prahlend (1400) über deinen Gatten sprichst.

Klytaimestra.
Du stellst mich auf die Probe wie ein unverständiges Weib. Ich aber sage euch mit unerschrockenem Herzen, was ihr schon wißt, und ob du mich loben oder tadeln willst, gilt mir gleich: Hier liegt Agamemnon, (1405) mein Gatte, getötet von meiner Rechten, einer gerechten Meisterin. So steht es.

Chor.
Weib, welch böses Gift hast du genossen, ein erderzeugtes als Speise oder ein aus der Salzflut gewonnenes als Trank, daß du dich (1410) in solche Tollwut versetzt und die Flüche des Volkes frech verachtet hast? Stadtflüchtig wirst du sein, ein lästiger Abscheu der Bürger.

Klytaimestra.
Mir erlegst du jetzt Verbannung aus der Stadt auf und Bürgerhaß und Flüche des Volks, doch gegen diesen Mann brachtest du damals nichts vor, (1415) der rücksichtslos, als gehe es nur um Tötung eines Tieres aus dichten Herden schönwolliger Schafe, die eigene Tochter, meiner Wehen liebste Frucht, hinopferte zur Beschwörung thrakischer Stürme. Ihn mußtest du aus diesem Land vertreiben zur Vergeltung seiner Frevel! (1420) Für meine Tat aber spielst du den strengen Richter. Doch sage ich dir: Wenn du so drohst, bedenke, daß ich auch darauf gefaßt bin, und bestimme erst über mich, wenn du mit Gewalt gesiegt hast. Läßt aber Gott das Gegenteil geschehen, wirst du, (1425) wenn auch spät, lernen, dich zu fügen.

Chor.
Du hast Großes im Sinn und sprachst kecke Worte. Dein Geist rast, weil die Bluttat glückte. Das Blut an deiner Stirn steht dir gut. Doch mußt du einst, deiner Freunde beraubt, zur Vergeltung (1430) Schlag mit Schlag büßen.

Klytaimestra.
Meine Hoffnung betritt nicht das Haus der Furcht, solang Aigisthos das Feuer auf meinem Herd schürt und mir wohlgesinnt ist wie bisher. Er ist kein schwacher Schild für meine Kühnheit. Und nun vernimm meinen gerechten Schwur: Bei der Rache, die ich für meine Tochter nahm, bei Ate und der Erinys, denen ich diesen schlachtete: Er liegt hier, da er mich, sein Weib, beschimpft, der Liebling der Chrysestöchter vor Ilion, und hier die gefangene Wahrsagerin, seine treue Bettgenossin, die mit ihm auf dem Schiffsdeck saß. Die beiden starben wohlverdient. Er fiel nur so, sie aber, sein Herzliebchen, sang als Schwan (1450) ihr Sterbelied. Er führte sie mir selbst herbei als Würze meines schwelgerischen Mahls.

Chor.
Ach! Daß doch schnell, ohne Schmerz (1455) und nicht ans Bett fesselnd der Tod käme und uns ewigen, endlosen Schlummer brächte, denn erschlagen liegt mein wohlwollender Schirmherr, der viel geduldet um ein Weib und durch ein Weib das Leben verlor!

Ach, wahnsinnige Helena, die, nur eine, so vielen, vielen vor Troia den Tod brachte, jetzt hast du mit der unvergeßlichen Blüte aus (1460) untilgbarem Blut dir den Kranz vollendet. Wahrlich, damals entstand die Zwietracht im Palast, Not und Verderben des Mannes.

Klytaimestra.
Wünsche nicht das Todeslos, weil dich all dies beschwert. Wende den Groll auch nicht gegen Helena, (1465) als wäre sie eine Männerwürgerin, als hätte sie allein vieler Danaerhelden Leben vernichtet und unheilbaren Jammer gestiftet.

Chor.
O Dämon, der sich auf den Palast und die beiden Tyndarostöchter stürzt, (1470) durch zwei besessene Weiber eine Herrschaft ausübt, die mein Herz kränkt, und mir auf der Leiche, prahlend wie ein gehässiger Rabe, ein rechtes (1474) Triumphlied vorsingen will! (1475)

Klytaimestra.
Nun sprachst du ein richtiges Wort, da du den dreimal gemästeten Fluchgeist dieses Geschlechtes nanntest. Er nährt ja die Mordgier in seinem Inneren, (1480) neuen Blutdurst, noch ehe das letzte Leid gestillt ist.

Chor.
Wahrlich, einen mächtigen, schwer grollenden Dämon dieses Hauses erwähnst du – wehe, weh, schlimme Erwähnung! – , (1485) der unersättlich ist im Verderben – wehe, Hilfe! – nach dem Willen des Zeus, der alles verursacht und alles bewirkt. Denn was wird Sterblichen bereitet ohne Zeus? Was von all dem ist nicht von Gott verhängt?

Wehe, weh! O König, König! (1490) Wie soll ich dich beweinen? Was denn aus treuem Herzen sagen? Da liegst
du in diesem Spinnennetz, hauchst, frevelhaft ermordet, dein Leben aus. Weh! Da liegst du, gestorben wie ein Knecht, (1495) durch tückisches Los von der Gattin gefällt mit doppelschneidiger Axt.

Klytaimestra.
Du sagst, dies sei mein Werk, doch nenne mich nicht Agamemnons Gemahlin. (1500) Nein, der alte, grimmige Geist, der an Atreus, dem schrecklichen Wirt, die Rache vollzog, nahm die Gestalt der Frau dieses Toten an und opferte strafend den Vater den Kindern. (1505)

Chor.
Daß du unschuldig bist an diesem Mord, wer wird es bezeugen? Und wie? Von Thyestes her kam vielleicht der Rachegeist als Helfer. Beschwört doch vergossenes Verwandtenblut den schwarzen Mordgeist herauf. (1510) Überall, wohin er schreitet, führt er geronnenes Blut vom Kindermord mit.

Wehe, weh, o König, König! Wie soll ich dich beweinen, was denn aus treuem Herzen sagen? Da liegst du in diesem Spinnennetz, hauchst, frevelhaft ermordet, dein Leben aus. Weh! Da liegst du, gestorben wie ein Knecht, durch tückisches Los von der Gattin gefällt mit doppelschneidiger Axt.

Klytaimestra.
Kein Knechtstod, mein' ich, ist ihm geworden... Trug er nicht tückische Schuld ins Haus? Meine ihm geborene Tochter, die vielbeweinte Iphigenie, hat er, (1525) der Vater, geopfert. Er litt für sein Tun die gerechte Strafe und soll sich im Hades nicht laut beklagen, büßte er doch durch das tötende Schwert nur, was er selbst tat. (1530)

Chor.
Ich bin ratlos, kein kluger Gedanke sagt mir, wohin mich wenden beim Einsturz des Hauses. Ich fürchte des Blutregens hauserschütterndes Brausen; der Blutfleck an deiner Stirn kündet ihn an. (1535) Sein Richtschwert wetzt schon an neuen Steinen zu neuem Unheil das Schicksal.

Wehe! Erde, Erde! Ach, hättest du mich aufgenommen, bevor ich ihn sah, wie er auf dem Boden der silberwandigen (1540) Badewanne liegt. Wer wird ihn bestatten? Wer ihn beklagen? Wirst du es wagen, dies zu tun, Mörderin des eigenen Mannes, ihn zu beweinen und so seiner Seele (1545) für die schreckliche Tat unlieben Liebesdienst wider alles Recht zu erweisen? Wer wird die Grabrede für den göttlichen Helden halten, unter Tränen sprechend, (1550) aufrichtigen Sinnes?

Klytaimestra.
Nicht dir kommt es zu, dich um diese Pflicht zu kümmern. Durch meine Hand fiel und starb er; ich werde ihn bestatten, nicht unter Klagen der Hausgenossen, (1555) nein, seine Tochter Iphigenie wird freundlich, wie es sich schickt, ihrem Vater bis zum reißenden Acheron entgegenkommen, die Arme um ihn schlingen und ihn küssen. (1560)

Chor.
Hier streitet ein Vorwurf gegen den andern, und es fällt schwer, die Entscheidung zu treffen. Ein Mörder rafft den andern hin, und doch muß der Täter büßen. Es bleibt dabei, solange Zeus auf seinem Thron bleibt: Der Täter muß leiden. So ist das Recht. (1565) Wer aber treibt den Geschlechterfluch aus dem Haus? Dieses Geschlecht ist ans Verderben gekettet.

Klytaimestra.
Mit Recht kommst du auf diesen Spruch. Ja, ich will ihn bestatten, nachdem ich mit dem Dämon der Pleistheniden (1570) einen Eidbund schloß, mich zu überwinden, so schwer es auch fällt; dafür soll er dieses Haus für immer verlassen, um ein anderes Geschlecht durch Mord in der eigenen Sippe aufzureiben. Bleibt mir auch nur ein geringer Teil des Besitzes, (1575) alles genügt mir, wenn ich die Raserei der Wechselmorde aus diesen Hallen verbanne.

Aigisthos.
O freundliches Licht des Tages, der mir Recht verschafft! Nun erst glaube ich, daß Götter von oben als Rächer der Menschen auf das Leid in der Welt herabschauen, da ich (1580) im Netz der Erinyen den Mann hier liegen sehe, mir zur Freude, der die Frevel seines Vaters büßt. Denn Atreus, Herrscher dieses Landes, sein Vater, vertrieb meinen Vater Thyestes, (1585) den eignen Bruder, um es klar zu sagen, im Streit um die Herrschaft aus Stadt und Haus. Als nun der arme Thyestes zurückkam und sich an den schützenden Herd setzte, fand er zwar Sicherheit für sein Leben und färbte nicht mit seinem Blut den Boden des Vaterhauses; (1590) doch Atreus, der gottlose Vater dieses Toten, eher wütend auf meinen Vater als wohlgesinnt, gab vor, ein fröhliches Schlachtfest zu feiern, und setzte ihm ein Mahl vom Fleisch seiner Kinder vor. Die vorderen Teile der Füße und Hände schlug er weg, von oben ...Thyestes, (1595) der an besonderem Tische saß. Sogleich griff er ahnungslos nach den unkenntlichen Stücken der Kinder und aß Speise, die, wie du siehst, unserem Haus Verderben brachte. Doch dann durchschaute er die ruchlose Tat, schrie auf, stürzte nieder, spie das Geschlachtete von sich, (1600) wünschte den Pelopiden jammervollen Untergang und stieß den Tisch mit einem Fluche um: So wie dieser solle die ganze Sippe des Pleisthenes stürzen.

Aus diesem Grund also kannst du den Toten hier gefällt sehen, (1605) und ich wirkte mit Recht an diesem Morde mit. Denn mich, den dreizehnten Sohn, hat er mit dem armen Vater vertrieben, als ich noch klein war und in Windeln lag. Vergeltung führte mich als Erwachsenen zurück. Ich umschlich Agamemnon schon, als ich noch in der Fremde war, und knüpfte alle Schlingen meiner Hinterlist. (1610) Nun ist mir selbst der Tod willkommen, da ich ihn im Netz der Rache sah.

Chor.
Übermut gegen Unglückliche mißfällt mir, Aigisthos. Du behauptest, diesen Mann mit Vorsatz getötet und allein den jammervollen Mord geplant zu haben. (1615) Ich sage dir nur: Dein Kopf wird vor Gericht den Flüchen und Steinwürfen des Volkes nicht entgehen.

Aigisthos.
So sprichst du, der unten am Ruder sitzt, während die Männer an Deck das Steuer führen? Als Greis noch wirst du merken, wie schwer (1620) in deinem Alter Lernen fällt, wenn es heißt, besonnen zu sein. Doch Fesseln, Alter und Hunger sind Wunderärzte, die vortrefflich Vernunft lehren. Bist du sehenden Auges blind? Löke nicht wider den Stachel, sonst stößt du dich und leidest Schmerz! (1625)

Chor.
Weib! Hast du, Hüterin des Hauses, die eben vom Kampf Heimgekehrten und dazu das Bett deines Mannes geschändet? Hast du den Mordplan gegen den Feldherrn erdacht?

Aigisthos.
Auch diese Worte werden dich Tränen kosten. Deine Zunge bewirkt das Gegenteil von der des Orpheus. (1630) Dieser nämlich zog alles an durch das Entzücken, das seine Stimme schuf, du aber reizest nur durch dummes Gebell und wirst selbst fortgezogen werden. Überwältigt aber wirst du dich schon zahmer zeigen.

Chor.
Als ob du für mich Herrscher der Argeier würdest, da du den Mordplan gegen Agamemnon nur ersannst, (1635) doch ihn nicht auszuführen wagtest!

Aigisthos.
Klar ist es, daß die Frau ihn überlisten mußte. Ich, als alter Feind, hätte Verdacht erregt. Mit seiner Macht will ich nun über die Bürger zu herrschen versuchen. Wer nicht gehorcht, (1640) den schirre ich in ein schweres Joch, nicht mehr als Handfüllen, das der Hafer sticht; nein, Hunger, verhaßter Hausgenosse der Kerkernacht, wird ihn bald mürbe sehen.

Chor.
Warum erschlugst du, feiger Kerl, den Mann nicht selbst? Warum mußte ihn ein Weib ermorden, (1645) Abscheu des Landes und der heimischen Götter? Sieht doch Orestes irgendwo das Tageslicht, um, heimgeführt von gnädiger Fügung, euch beide mit starker Hand zu töten.

Aigisthos.
Nun, wenn dir solches Tun und Reden beliebt, sollst du gleich erfahren, wie unbesonnen du einen Mächtigen beleidigt hast. (1650) Auf, liebe Kampfgenossen! Nun beginnt der Streit.

Chor.
Auf! Jedermann fasse das Schwert am Griff und halte es bereit!

Aigisthos.
Doch auch ich habe die Hand am Griff und weigere mich nicht zu sterben.

Chor.
Du sagst, du wollest sterben; das soll uns ein Omen sein. Wir wählen das Glück zum Schiedsrichter.

Klytaimestra.
Nimmermehr, liebster Mann, laß uns neues Unheil anrichten. (1655) Die eingefahrene Ernte ist schon schlimm genug. Des Jammers Maß ist voll. Beginne keinen Streit! Wir sind schon mit Blut befleckt.

Geht, würdige Greise, jeder in sein Haus, bevor ihr handelt und leidet. Ihr mußtet euch in unsere Tat fügen. Wenn es mit diesen Leiden genug ist, wollen wir zufrieden sein, (1660) traf uns doch des Dämons schwere Klaue hart genug. So spricht ein Weib, wenn einer von ihr lernen will.

Aigisthos.
Doch daß diese mich mit frecher Zunge so schmähen, mir mit solchen Worten drohen und das Glück versuchen ...(1665)

Chor.
Es ist nicht Argeierart, einem Feigling zu schmeicheln.

Aigisthos.
Wart nur, dich treff' ich eines Tages noch!

Chor.
Nicht, wenn ein Gott Orestes richtig hierher führt.

Aigisthos.
Ich weiß schon: Verbannte leben von Hoffnungen.

Chor.
Mach weiter so! Mäste dich! Schände das Recht! Noch kannst du es. (1670)

Aigisthos.
Paß auf! Du wirst mir deine Frechheit noch bezahlen.

Chor.
Brüste dich nur dreist wie der Hahn neben der Henne!

Klytaimestra.
Achte nicht auf dieses ohnmächtige Gekläff! Ich und du, wir wollen als Herren dieses Hauses alles wohl bestellen.